Interview mit Achim Frommann Buchautor sowie Gründer von Deutsche Sporteltern
Das Interview mit Achim führt Aline von Sporteltern.info

Achim, Dein Buch gibt nicht nur Einblick in die Maschinerie des Deutschen Nachwuchsfussballs, sondern beleuchtet insbesondere Deine Rolle als Vater eines Fussballtalents. Was hat Dich bewogen, das Buch zu schreiben?
Hallo Aline. Während den rund 10 Jahren Talentförderung und Übergang in den Profibereich unseres Sohnes Constantin beim SC Freiburg und in den U-Teams (Nachwuchsteams) des DFB (Deutscher Fussball-Bund) habe ich, haben wir als Familie wirklich alles erlebt. Sowohl sportlich, als auch das ganze drumherum betreffend. Wie Nachwuchsleistungszentren und Spitzenverbände wirklich arbeiten, welche Rolle die Eltern in der Förderung spielen, wieviel Beachtung dem Familiensystem geschenkt wird, wie man mit dem Deselektionsprozess umgeht. Mein Fazit: Es gibt in allen Bereichen bis heute noch sehr viel Luft nach oben. Dazu gehört auch die umfassende Information und Aufklärung darüber, was Leistungssport wirklich bedeutet. Für das Talent, aber auch für seine Familie, insbesondere die Eltern und Geschwister. Darüber wird noch viel zu wenig gesprochen, vermutlich aus Sorge darüber, man könnte ein Talent verlieren, oder müsste sich viel mehr auch um die Eltern kümmern.
Für mich war diese Erkenntnis der Beweggrund, für andere Sporteltern unsere Erlebnisse aufzuschreiben. Es ist eine ehrliche Retrospektive unserer Erlebnisse. Und vielleicht kann das Buch bei der einen oder anderen Entscheidung helfen, die damit verbunden Konsequenzen für sich selbst besser abzuwägen.
Kannst Du das noch genauer erklären, welche Konsequenzen Du meinst?
Schließlich sind Sporteltern sozial, finanziell und organisatorisch über Jahre enorm gefordert. Viele gehen nicht nur an, sondern für ihr Kind weit über die Grenzen des Sinnvollen und Leistbaren hinaus. Auf Dauer entsteht daraus Stress, Druck, Überforderung, Unzufriedenheit, Angst, Frustration, Ärger, was sich wieder auf das Talent, seine Entwicklung und die ganze Familie überträgt. Wer seine Grenzen richtig einordnet, spätestens in Krisensituationen die Hilfe des Vereins oder Verbands einfordert, oder noch besser bereits zu Anfang die richtigen Fragen stellt, beispielsweise zu Unterstützungsangeboten (finanziell, organisatorisch, informativ), medizinischer Versorgung, durchschnittliche Verweildauer der Talente, polysportive Angebote, Freizeit für familiäre Aktivitäten, etc., der wird kein böses Erwachen erleben, sondern vernünftig abgewogene Entscheidungen treffen.
Das Buch ist aber auch für Nachwuchstrainer, Pädagogen, Sportpsychologen und alle in der Talentförderung Fürsorgepflichtigen geschrieben. Denn es gibt durchaus intime Einblicke in ein Familiensystem und die massiven Eingriffe bzw. Veränderungen durch den Leistungssport. Dafür sollte sich jeder interessieren, der mit talentierten Kindern arbeitet, um die richtigen Rückschlüsse daraus zu ziehen.
Welchen Herausforderungen musstest Du Dich als Fussballvater oder Ihr Euch als Familie auf dem Weg Deines Sohnes zum Profi stellen?

Nun, das fängt bereits damit an, dass sich die komplette Wahrnehmung unserer Familie von einem auf den anderen Tag veränderte. Das plötzlich bestimmende Thema der meisten Gespräche waren auf einmal der Fußball und der SC Freiburg. Hier innerhalb der Familie die Balance zu halten und auch selbst bodenständig zu bleiben ist schon eine Herausforderung.
Dann drehte sich recht bald die gesamte Organisation unserer Familie um die Trainings- und Spielpläne des Nachwuchsleistungszentrums. Für beide Geschwister von
Constantin war das keine einfache Zeit. Und sie dauerte Jahre, frass Geld, tausende Kilometer (wir wohnen ca. 90 km von Freiburg entfernt), viele Stunden während der Woche, fast jedes Wochenende. Es wurde organisatorisch erst einfacher, als Constantin schon mit 15 Jahren auszog und ins Fußballinternat wechselte. Das war dann gleich die nächste emotionale Herausforderung, weil eines unserer Kinder ging und auf seinem Weg zum jungen Mann auch nie mehr in den Familienverbund zurückkehrte. Er wurde bei anderen Menschen erwachsen. Ja und dann mussten wir auch erleben, dass man schon sehr genau darauf zu achten hat, wem und worauf man auf dem Weg seines Kindes zum Profisportler wirklich vertrauen kann. Vor allem, wenn es dann tatsächlich um den Wechsel in den Profifußball geht. In den entscheidenden Momenten fehlen Sporteltern aber meist die Erfahrungen, weshalb nichts anderes bleibt, Trainern, Funktionären, Ärzten, Beratern, etc. einen Vertrauensvorschuss zu geben. Gleichwohl sind meine Frau Susanne und ich aber immer unserem Instinkt und der Verantwortung für unser Kind gefolgt. Du darfst mir glauben, dass daraus ebenfalls so manche Herausforderung, auch Enttäuschung resultierte, auf die ich jetzt aber nicht näher eingehen möchte.

Das Thema hat Dich auch nach dem verletzungsbedingten Karriereende Deines Sohnes nicht mehr losgelassen, Du hast Dich in Sportpsychologie fortgebildet und sogar eine Firma «Deutsche Sporteltern» gegründet. Was hat Dich bewogen auch über die eigene Rolle als Sportvater hinaus am Thema dranzubleiben?
Wahrscheinlich war ich als Sportvater einfach zu lange Teil des Systems und bin es selbst nach dem bitteren Ende für unseren Sohn in gewisser Weise bis heute geblieben. Denn wäre Constantin, wie übrigens tausende anderer Mädchen und Jungen jede Saison, irgendwann einfach aussortiert worden, hätte ich vermutlich wie viele Eltern dem Talentfördersystem, vielleicht sogar dem Fußball, enttäuscht den Rücken gekehrt und die kalte Schulter gezeigt. Da wir aber ständig damit konfrontiert waren, was Sporteltern alles fehlt, wie wenig aufgeklärt man ist, wie teilweise mit Talenten umgegangen wird, was während und nach einer Deselektion abläuft, aber auch lernt, wie sehr sich immer mehr Experten innerhalb der Talentförderung für die Arbeit mit den Eltern interessieren, traf ich die Entscheidung, mich diesem Themenfeld mit meiner ganzen Energie zu widmen. Die Weiterbildung zum sportpsychologischen Training und Coaching im Leistungssport war der erste Schritt hin zur Professionalität. Aber weil es für Sporteltern von Kindern im Leistungssport sowie für wirklich holistisch handelnde Vereine und Verbände deutschlandweit keine professionellen Strukturen, Anlaufstellen, oder Interessenvertretungen im Elternmanagement gibt, denen ich mich hätte anschließen können, traf ich die Entscheidung, dafür selbst eine Agentur zu gründen, die DSE Deutsche Sporteltern GmbH.
Was bietet ihr nun genau an in Eurer Sporteltern Firma – welche Bedürfnisse wollt ihr ansprechen.
Mit der neu gegründeten DSE bedienen wir im Kern zwei Zielgruppen mit professionellen Dienstleistungen, Produkten und Veranstaltungen: Zum einen sind es alle Vereine, Clubs und Verbände, die talentierte Kinder und Jugendliche in Leistungszentren oder an Förderstützpunkten sportlich entwickeln. Als externe Berater und Partner unterstützen wir im außersportlichen Bereich beim Auf- bzw. Ausbau eines effektiven Elternmanagements. Dabei geht es meist darum, mit einem Audit erst einmal eine Bestandsaufnahme vor Ort im NLZ oder am Stützpunkt zu machen. Darauf aufbauend können dann Maßnahmen zielgenau und Budget gerecht umgesetzt werden. Beispielsweise die Weiterbildung von Nachwuchstrainern, Pädagogen und Sportpsychologen. Die Entwicklung wichtiger Informationsangebote für Sporteltern. Oder auch Empfehlungen für die häufig übersehene Infrastruktur für Familien auf oder neben dem Sportgelände. Es gibt aber auch erste Kunden, die das Elternmanagement bereits als Ressource für ihre ganzheitliche Ausbildung erkannt haben. Hier geht die Zusammenarbeit dann viel mehr ins Detail, beispielsweise mit Workshops zu Spezialthemen, oder Infoabenden zu sensiblen Bereichen, die strategisch geschickter über einen externen Partner an- und ausgesprochen werden.
Zum zweiten widmen wir uns direkt den Sporteltern. Dafür ist gerade unser neuer DSE Club in Gründung, den Madeleine und Susanne, zwei Expertinnen des DSE Teams, leiten werden. Die Clubmitgliedschaft öffnet Sporteltern die Tür hinein in die Welt des Nachwuchsleistungssports und alles darüber Wissenswerte, um sein Kind, seine Familie bestmöglich zu begleiten. Das Angebot beinhaltet Videoseminare, Infostammtische zu Spezialthemen, den Direktkontakt zu Experten rund um Themen des Leistungssports und vieles mehr. Letztendlich geht es um all das, war wir zu unserer Zeit als Sporteltern suchten und bei niemandem fanden. Diese Lücke wird der DSE Club mit seinen unabhängigen Angeboten schließen.
Du nennst Dich ja auch Experte im Elternmanagement, magst Du uns den Begriff erklären, da er in der Schweiz nicht so geläufig ist.
Elternmanagement im Nachwuchsleistungssport bezeichnet die strukturierte Unterstützung und Begleitung von Sporteltern, um die Entwicklung ihrer Kinder im Leistungssport optimal zu fördern. Gleichzeitig geht es darum, dass Wohl der Familie während und auch nach der Förderung mit einer Perspektive im Auge zu behalten. Elternmanagement umfasst die partnerschaftliche und wertschätzende Zusammenarbeit zwischen Sportfamilien, Nachwuchstrainern, Pädagogen, Sportpsychologen, Sozialbegleitern, Lehrern sowie vielen weiteren engen Vertrauten der Talente in den sportlichen Institutionen. Weiterhin geht es um die Bereitstellung von Ressourcen und Wissen für die Sport- und Lebensbalance sowie die Förderung des physiologischen, psychologischen und emotionalen Wohlbefindens der jungen Athleten. Das Ziel des Elternmanagements ist es, eine positive und konstruktive Rolle der Eltern auf dem sportlichen Werdegang ihres Kindes sicherzustellen und den wertschätzenden Umgang miteinander zu entwickeln.
Liesse sich dieses im Deutschen Fussball in den NLZ entwickelte Konzept des Elternmanagement nicht auch gut auf andere Sportarten, Verbände und Strukturen übertragen, vielleicht ja auch in der Schweiz?
Der Deutsche Fußballbund hat das Elternmanagement zur Saison 2023/24 zu einer Lizenzierungsauflage für Vereine mit Nachwuchsleistungszentren gemacht. Damit wurde eine Jahrzehnte alte Lücke in der Ausbildungskonzeption des DFB geschlossen. Nicht mehr und nicht weniger. Leider, oder vielleicht auch zum Glück ist damit aber kein professionell ausgearbeitetes Konzept verbunden. Leider, weil die meisten NLZs gerade eine Lernkurve durchlaufen, wie ich aus vielen Gesprächen erfuhr. Und alle stellen fest, dass ein professionelles Elternmanagement nicht mal so nebenher zu leisten ist, sondern Struktur, Personal und Geld braucht. Deshalb fliegt das Thema bei den meisten gerade noch unter dem Radar und häufig hören wir auch, dass es dafür kein Geld gäbe.
Zum Glück sage ich, weil ein NLZ kreativ sein darf und alle Freiheitsgrade nutzen kann, seine Eltern optimal abzuholen und zu begleiten. Dafür können sowohl interne Ressourcen als auch externe Partner mit Expertise in der Arbeit mit Eltern und Familiensystemen eingebunden werden. Natürlich geht das nicht ohne Personal und Budget. Dieses Geld ist aber bestens investiert, sofern ein NLZ mit seinen Talenten langfristig plant, holistisch arbeitet und der humanistischen Verantwortung gerecht werden will, die alle Mitarbeiter mit der Ausbildung jedes einzelnen Talents übernehmen – inklusive seiner Familie.
Jetzt zu Deiner Frage: Selbstverständlich ist Elternmanagement eine Aufgabe aller Sportarten, die Kinder und Jugendliche leistungsfördern. Aus diesem Grund denkt und handelt unsere Agentur auch vom ersten Tag an Sportart übergreifend. Dafür greifen wir beispielweise in Spezialthemen auf unsere Experten aus verschiedenen Disziplinen zurück. Es gibt aber auch viele Themen, die in der Arbeit mit Sporteltern direkt übertragbar sind, oder die ihnen im direkten Austausch mit Eltern anderen Sportarten helfen. Dafür beispielsweise unsere online-Stammtische und Veranstaltungen, die für alle Mitglieder offen sind. Sicher können Vereine und Verbände von anderen Sportarten lernen, kann das eine oder andere im Elternmanagement übertragen werden, sollte der Dialog gestartet werden. Letztendlich hängt es aber immer auch von den handelnden Personen und der Identität der Ausbildungsstätte ab, weshalb letztendlich kein Konzept wie das andere aussehen wird.
Was ist Deine Vision – wie wird sich die Rolle der Sporteltern weiterentwickeln?
Nun, es geht allem voran darum, den Sporteltern und Familien unserer Talente endlich eine Stimme, ein Gesicht, Beachtung zu schenken und für die gebotene Wertschätzung ihres Engagements seitens der Talentförderung zu sorgen. Denn ohne ihren enormen Einsatz könnte keine einzige Sportart auf Leistungsniveau ausbilden. Dafür muss derzeit enorm viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Überall, wo diese Saat aber auf fruchtbaren Boden fällt, können wir mit unserer Arbeit beginnen. Und dass es besser mit, statt ohne, oder gar gegen Sporteltern funktioniert, beweisen eine Hand voll Beispielvereine, die sich im Elternmanagement bereits einen gewinnbringenden Vorsprung erarbeitet haben. Mit der DSE hoffen wir, in den nächsten Wochen und Monaten auf viele weitere Entscheiderinnen und Entscheider im Nachwuchsleistungsfußball und anderen Sportarten zu treffen, die es jetzt ebenfalls anpacken wollen.
Tatsächlich ist meine Vision, für werdende Berufssportler und ihre Familien, aber vor allem für tausende anderer Mädchen und Jungen, die ebenfalls hart daraufhin arbeiten und letztendlich andere Wege gehen (müssen), den Nachwuchsleistungssport ein kleines Stückchen besser, ein kleines bisschen menschlicher zu machen. Dafür spielen aufgeklärte, wertgeschätzte und vernünftig handelnde Sporteltern eine entscheidende Rolle. Dahin möchten wir sie entwickeln, zusammen mit Vereinen, Verbänden, oder auch mit Partnern wie Dir, liebe Aline. Wenn wir das Schaffen, haben wir für den Leistungssport aus unseren eigenen Erfahrungen als Sporteltern glaube ich die richtigen Schlussfolgerungen gezogen.

Achim Frommann