Text Tamara Elmer
Foto Igor Knapp
«The first thing you learn in Judo, isn’t how to throw! You learn how to fall and how to get up”. Eine Haltung, zitiert aus “My Judo Techniques”, die für die Motivation unserer Nachwuchs-Athlet:innen von existenzieller Bedeutung ist. Kinder im Leistungssport sind früh mit einer Vielzahl an Verlusten, Niederlagen, Rückschlägen und Verzicht konfrontiert. Und trotzdem streben sie unermüdlich und voller Enthusiasmus ihrer Leidenschaft und dem Erreichen ihrer Lebensziele nach.
Der Begriff Motivation stammt aus dem Lateinischen «movere» und bedeutet «bewegen». Nach Albert und Droste (2023) sowie Rheinberg (2006) ist damit gemeint, die aktive, mentale und physische Bewegung, bzw. Triebkraft auf einen positiv bewerteten Zielzustand hin. Auf neurobiologischer Ebene wird beim Erreichen des Ziels das Belohnungssystem aktiviert und Dopamin wird ausgeschüttet. Wir spüren in diesem Moment Freude und Spass. Dies bewirkt, dass wir uns selbst nach Niederschlägen wieder erholen und uns für unsere Ziele begeistern können, so wie es unsere Kinder tagtäglich tun.
Als Sporteltern gehen wir (in der Regel) davon aus, dass unsere Kinder hauptsächlich leistungsmotiviert sind, also ihre grösste Motivation darin besteht, die von aussen vorgegebenen und selbst gesteckten Leistungsziele zu erreichen und somit erfolgreich zu sein. Die Leistungsmotivation ist für den Spitzensport sicherlich das wichtigste Leitmotiv. Allerdings sind die Ziele (auch Bedürfnisse oder Motive genannt) sehr individuell und im Verlauf der Entwicklung veränderbar. Neben der Leistungsmotivation können im Sport folgende Motive wichtig sein, um nur einige zu nennen (Albert und Droste, 2023 / Rheinberg, 2006):
· Soziales Motiv: Kinder, die in der Gruppe motiviert werden durch das Mitwirken in einer Mannschaft, durch die Anerkennung, die sie von anderen bekommen oder durch Fürsorge die sie anderen Kindern geben können.
· Ressourcen-Motiv: Kinder, die ihr Potenzial, ihr Talent verwirklichen und ausschöpfen wollen.
· Spasserleben: Kinder, die einfach Freude und Spass am Sport haben, ohne Leistungsansprüche oder andere Karriere-Ziele.
Gerade in der elterlichen Begleitung von Kindern im Leistungssport ist es wichtig, sich immer wieder über die eigenen, elterlichen Motive klar zu werden und über jene unserer Kinder. Damit sich Kinder gesund entwickeln können, braucht es diese Unterscheidung, so dass Kinder nicht unter den Druck zusätzlicher, teilweise auch hintergründig geheimen, Eltern-Erwartungen kommen.
Albert und Droste (2023), schlagen folgende Schlüsselfragen vor, die Athlet:innen helfen können, sich über ihren Antrieb klar zu werden:
· «Kannst du drei Gründe nennen, warum du deinen Sport (z.B. Judo) so liebst?»
· «Warum hast du damals mit deinem Sport (z.B. Judo) angefangen?»
· «Was demotiviert dich?»
Wird bei der Beantwortung der Fragen deutlich, dass nicht mehr das Leistungsmotiv im Vordergrund steht, sondern beispielsweise das Spasserleben oder das soziale Motiv, ist differenziert zu überlegen, ob allenfalls eine Motivationskrise vorliegt, oder sogar eine Umorientierung nötig ist.
Bezüglich Leistungsmotivation stellte bereits 1957 Atkinson fest, dass die effektivste Motivation erreicht wird bei mittelschweren Aufgaben (bei denen Erfolg und Misserfolg möglich sind), die von der individuellen Leistungsfähigkeit her, bzw. dem individuellen Können her anspruchsvoll, aber gerade noch erreichbar sind. Dabei hängt das Erleben von Erfolg und Misserfolg nicht direkt mit der Güte des erzielten Resultats zusammen, sondern mit dem zuvor gesetzten Anspruchsniveau/Ziel.
Risiko-Wahl-Modell nach Atkinson 1957
Für Sportkinder bedeutet dies, dass die grösste und anhaltendste Motivation dann erreicht wird, wenn äussere Anforderungen (Schwierigkeit in Qualität und Quantität von Trainingseinheiten, Wettkämpfen, Turnieren etc.) mit der individuellen Leistungsfähigkeit des Kindes gerade noch bewältigbar sind. Hellhörig sollten wir als Eltern dann werden, wenn das Kind vom verlangten Leistungsniveau überfordert ist. Gerade perfektionistisch veranlagte Kinder neigen dazu, zu hohe Leistungserwartungen an sich selbst zu haben, oder zu hohen Leistungserwartungen von aussen gerecht werden zu wollen. Diese Kinder tendieren dazu, sich zu verausgaben, bzw. in eine Überbelastung und Erschöpfung zu geraten. Gerade bei diesen Kindern ist es wichtig, kleinste Anzeichen von Erschöpfung (z.B. Wunsch nach Trainingspause, Rückzugsbedürfnis, Reizbarkeit, Versagensgefühle, Ängste etc.) ernst zu nehmen und entsprechend zu handeln. Eltern sollten aber auch dann hellhörig werden, wenn Kinder plötzlich Leistungsniveaus bevorzugen, die deutlich unter ihrem tatsächlichen Potenzial liegen (z.B. zu lange Trainingspause, zu einfache Trainingsaufgaben, Rumalbern, Trödeln, erhöhter Medienkonsum etc.). Dahinter könnten sich allfällige Motivationsprobleme oder Unter-, bzw. Überforderungsprobleme verbergen.
Was können wir Eltern tun bei motivationalen Krisen unserer Sportkinder?
Primär können wir uns nach den Ursachen des Motivationseibruchs fragen:
· Ist das Kind müde? Hat es genug geschlafen? Hat es genug Regenerationszeit? Ist es ausgewogen ernährt?
· Ist das Kind überfordert (hatte das Kind längere Zeit keine Erfolge?)
· Ist das Kind unterfordert (ist es dem Kind langweilig?)
· Bestehen zu hohe eigene Erwartungen oder zu viel Druck von aussen?
· Wird das Kind zu wenig unterstützt?
· Hat das Kind Ziele, auf das es hinarbeiten will?
· Gibt es psychosoziale Störfaktoren (Konflikte mit Peers, Trainer:innen etc.)?
Weiter können wir mit unseren Sportkindern die aktuellen Motive/Ziele klären mit oben genannten Schlüsselfragen (Drei Dinge, die man am Sport liebt? Warum hat man damals mit dem Sport angefangen? Was demotiviert?). Allenfalls haben sich die ursprünglichen Motive verändert, oder sind aus dem Bewusstsein gerückt. Mit Hilfe der Schlüsselfragen kann an die ursprünglichen Motive angeknüpft werden und diese aktualisiert werden.
Damit sich Kinder im Spitzensport gesund entwickeln können, sind sie auf positive Beziehungsangebote, Verständnis, Mitgefühl und Vertrauensvorschuss von uns Eltern angewiesen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass wir Eltern eigene Leistungsansprüche und Karriere-Wünsche an unsere Kinder in den Hintergrund stellen und unseren Kindern die Haltung vermitteln, dass auch «Aufhören mit dem Leistungssport» komplett legitim ist – Jederzeit! Hilfreich in diesem Prozess kann eine bewusst geplante, zweiwöchige Trainingspause mit anschliessender Evaluation der Motivation sein, sowie Gespräche mit den Trainer:innen. Allenfalls kann es auch sinnvoll sein, ein Mentalcoaching oder eine psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen.
Literatur:
Albert A. & Droste S. (2023). Mentaltraining für Sportler. (2. Auflage), München: Riva Verlag.
Atkinson, J.W. (1957). Motivational determinants of risktaking behavior. Psychological Review, 64, 359-372.
Rheinberg, F. (2006). Motivation. (6. Überarbeitete und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.